(Un)sicherheit in der Zeitenwende

Transkript: Vom Verlust der Vernunft

ACHTUNG: Das Transkript wird automatisch erstellt und aus zeitlichen Gründen NICHT korrigiert. Fehler bitten wir deshalb zu entschuldigen.


Guten Tag und herzlich willkommen, liebe Zuhörer und Zuhörerinnen.
Mein Name ist Nicola Fuchs-Schünden und als Präsidentin des Wissenschaftszentrums
Berlin für Sozialforschung begrüße ich Sie zum Auftakt unserer neuen Online-Veranstaltungsreihe
Wissenschaft unter Druck, Skepsis, Anfeindung, Stärkung.
Und ich begrüße ebenso herzlich unsere heutigen Diskutanten Michael Zürn und
Nils Kumka und unsere Moderatorin Shelley Kupferberg.
Ich freue mich sehr, dass Sie heute mit dabei sind und über ein Thema sprechen,
das in den letzten Jahren und insbesondere in den letzten Monaten zu einer Herausforderung
für die Wissenschaft geworden ist, nämlich die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit.
In vier Folgen werden sich unsere Sprecher und Sprecherinnen über die Anfeindungen
austauschen, die aus der Mitte der Gesellschaft,
von Verbänden, Parteien, aber auch von Regierungen ausgehen können und darüber,
wie wir die Wissenschaft stärken können.
Uns bewegen diese Fragen am WZB sehr und nach einigen internen Diskussionen
haben wir uns zur Einrichtung dieser Reihe entschlossen.
Ich freue mich sehr, dass wir interessante Gesprächspartner für die vier Folgen gewinnen konnten.
Nach dem heutigen Auftakt diskutieren am 29.09. WZB-Direktor Daniel Sieblatt
mit WZB-Gastwissenschaftlerin Christa Kovac, Am 06.10.
Marion Ackermann von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit Regula Rapp von
der Barenbäum Said Akademie und am 20.10.
Gerd Gigerenzer vom Europäischen Forschungsrat IAC.
Wir starten heute mit einer fast schon philosophischen Folgerung,
die man aus den Anfeindungen ziehen kann, mit dem Verlust der Vernunft.
Verlust der Vernunft, das zeigt, dass das Thema nicht nur in Universitäten und
Forschungseinrichtungen ein brennendes ist, sondern weit gefasst die Frage betrifft,
wie wir zusammen leben werden, wenn die Vernunft als leitende Kraft schwächer wird.
Damit haben sich unsere Gesprächsverhalten an Michael Zürn und Nils Kumka beschäftigt
und ich gebe gerne das Mikrofon weiter an unsere Moderatorin Shelley Kupferberg.
Einen großen Dank an Sie alle und auf eine gute Diskussion.
Ja, herzlichen Dank an die BZB-Präsidentin Prof.
Nikola Fuchs-Schündeln, auch von mir aus herzlich willkommen.
Schön, dass Sie sich da zugeschaltet haben.
Ein drängendes Thema in vielen Bereichen.
Ich habe wirklich in den letzten Monaten so viel genau zu diesen Dingen wie
Wissenschaft unter Druck, Kultur unter Druck, Politik unter Druck moderiert
und finde es wichtig und gut, dass wir auch in diesem Zuge.
Im Rahmen des WZBs mit allen möglichen interessierten und assoziierten Menschen ins Gespräch kommen.
Bevor ich Ihnen die Inputgeber des heutigen Tages ein wenig vorstelle,
möchte ich noch ein paar organisatorische Dinge loswerden.
Wir werden es so machen, dass wir erstmal Inputzirn-Einlassungen von Michael
Zirn und Nils Kunker, ich werde Ihnen beide gleich, wie gesagt, kurz vorstellen.
Sie können jederzeit währenddessen die Q&A-Funktion nutzen und gerne Gedanken,
aber auch schon mal Fragen, wenn Sie möchten, formulieren.
Ich werde diesen Chat im Blick haben, das eine oder andere auch gerne aufgreifen,
damit wir danach ins Gespräch kommen.
Und möglicherweise werden wir es so machen, dass ich erst einmal an die beiden
Impulsgeber die eine oder andere Frage stelle,
eine Nachfrage und dann sind sie herzlich eingeladen mitzudiskutieren,
wie gesagt, mit der Chatfunktion.
Gut, dann wollen wir auch keine Zeit verlieren. So viel haben wir ja nicht. Kurz und kompakt.
Wir wollen jetzt starten. Ich darf Ihnen die beiden Impulsgeber kurz vorstellen.
Michael Zürn, Direktor der Abteilung Global Governance am WZB und Professor
für internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin.
Seine Forschungsfelder sind Global Governance, internationale Beziehungen,
internationale politische Theorie.
Demokratie und Rechtsstaat, demokratische Regression, autoritärer Populismus
und somit ist er einer unserer Männer in dieser Zeit.
Anders kann man es in dem Fall, möchte ich fast behaupten, leider lieber Michael
Zürn nicht sagen, aber wir freuen uns natürlich, dass Sie mit von der Partie
sind und wir sind gespannt über Ihre Einlassung, bevor ich dann Nils C.
Kumka ein wenig vorstellen werde, aber erst einmal lieber Michael Zürn,
haben Sie das Wort, bitte.
Tausend Dank für die wirklich freundliche Einführung.
Die These, die ich vertreten möchte,
lautet, dass der Verlust der öffentlichen Vernunft dann stattfindet,
wenn eine im Prinzip vernunftbegabte Gesellschaft die Verfahren außer Kraft
setzt, mittels derer sie sich darüber verständigt, was sie vorübergehend für
wahr und richtig ansieht.
Solche Verfahren liegen einer demokratischen Gesellschaft notwendigerweise in
einem doppelten Sinne zugrunde.
Sie haben demokratische Ordnungen erst hervorgebracht und sie sind unabdingbar
für deren tägliche praktische Umsetzung.
Umgekehrt heißt es aber natürlich auch, die Schwächung der öffentlichen Vernunft
geht der Auflösung liberal-demokratischer Ordnungen voraus.
Vor der Wahl von Trump im Jahre 2024 erfolgte ein beispielsloser Wahlkampf,
gespickt mit Absurditäten und Angriffen auf alle Instanzen, die Rationalität
in Gesellschaft und Staat verkörpern.
Das ist natürlich die Wissenschaft, aber nicht nur die Wissenschaft,
wie ich noch argumentieren werde.
Diese spätestens seit 2016 voranschreitende Kampagne schuf eine Gefolgschaft,
der in Loyalität durch nichts erschüttert werden konnte, nicht durch unzählige
Beweise für Falschaussagen und nicht durch strafrechtliche Verurteilung.
Und diese Korruptierung der öffentlichen Vernunft hat die Wiederwahl von Donald
Trump, so die Kernthese eigentlich, erst möglich gemacht.
Aber wie geht das? Wie kann eine demokratische Gesellschaft ihre Vernunft verlieren
und rationale Prozesse der Wahrheitskonstruktion in gewisser Weise außer Kraft setzen?
Eine Antwort auf diese Frage baut auf die Unterscheidung zwischen Lügen und Unsinn auf.
Hannah Arendt hat das Verhältnis von Wahrheit und Demokratie schon 1969 treffend beschrieben.
Sie argumentiert, dass Politik dort endet, wo faktische Wahrheiten existieren.
Also Fakten, die unabhängig eigentlich von Meinungen existieren.
Denn konsolidierte Wahrheiten sind mit einem Geltungsanspruch verbunden,
der sie eigentlich dem politischen Prozess entzieht.
Demnach kann man und muss man natürlich politisch über eine richtige Klimapolitik vehement streiten.
Ob es den menschengemachten Klimawandel gibt, ist hingegen eigentlich reine politische Frage mehr.
Und das ist sozusagen der Punkt, wo die Wahrheit der Demokratie Grenzen setzt.
Dennoch ist die Täuschung oder Lüge ein konstitutives Merkmal der Politik.
Daran kann es natürlich keine Frage geben.
Die Lüge ist ein bewusster Versuch einer Sprecherin, die die Wahrheit kennt,
sie zu umgehen und ihre Wirksamkeit dadurch abzufangen.
Ein Klassiker der politischen Lüge ist sicherlich Walter Ulbrichts Aussage,
niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.
Wieder besseres Wissen wurde das Gegenteil behauptet, damit die Wahrheit nicht
in Form einer Torschlusspanik der Menschen in der DDR wirksam wird.
Wenn die Lüge aber aufliegt, richtet sich die Lüge, zumindest in demokratischen
Gesellschaften, gegen die Autorin.
Schon viele Spitzenkandidaten sind in der Politik daran gescheitert,
dass ihnen eine Lüge nachgewiesen wurde.
Aber bei Donald Trump scheint alles anders zu scheinen.
Seine Unwahrheiten schaden ihm nicht, selbst wenn sie durch Faktenchecks schnell aufgedeckt werden.
Eher im Gegenteil, sie scheinen ihm zu nützen.
Und genau an der Stelle kommt nun ein bekannter Essay des Princeton-Philosophen
Harry Frankfurt mit dem Titel On Bullshit ins Spiel.
Frankfurt unterscheidet zwischen Lüge und Bullshit. Eine Lügnerin versucht,
Ferdia hat das bereits angedeutet, die Wahrheit zu verbergen.
Sie hat die Absicht, die an- und für sich bekannte Wahrheit falsch darzustellen.
In gewisser Weise beruht damit die Lüge auf der Wahrheit. Zumindest auf der
Anerkennung der Wahrheit.
Bullshit aber missachtet das gesamte Konzept der Wahrheit.
Es konzentriert sich nicht darauf, die Wahrheit zu verbergen,
sondern darauf, einen Eindruck zu erwecken, Situationen zu manipulieren oder
sich auf eine bestimmte Art und Weise zu präsentieren.
Dem Bullshitter ist es egal, ob das, was er sagt, wahr ist.
Es geht darum, Eindrücke zu manipulieren.
Donald Trumps Kommunikationsstil ist aus meiner Sicht ein Paradebeispiel für
Bullshit, zumindest dann, wenn er Behauptungen über Hunde und Katzen essen,
der Einwanderer in Springfield aufschlägt.
Mit Blick auf die öffentliche Kommunikation, und das ist jetzt der Kern unserer
Problematik, stellt Bullshit eine größere Bedrohung für die Wahrheit dar als die Müge.
Es schafft ein Umfeld, in dem die Unterscheidung zwischen wahr und falsch irrelevant wird.
Dies hat schwerwiegende Folgen für den öffentlichen Diskurs.
Es entsteht ein Raum für Kommunikation, in dem die Wahrheit abgewertet wird.
Das Einzige, was zählt, ist ein rhetorischer Erfolg.
Erfolg oder Einfluss und es entfällt die Suche nach dem besseren Argument.
Es versteckt nicht die Wahrheit, sondern greift die Mechanismen der Wahrheitsfindung an.
Wenn Bullshit die Prozesse der öffentlichen Vernunft so sehr beschädigt hat,
dass sie für große Teile der Gesellschaft bedeutungslos wird,
dann wird die Wahl eines Präsidenten wie Donald Trump möglich.
Aber wie geschieht das? Ich möchte jetzt einfach, bevor ich jetzt umständlich
lange eine Rekonstruktion einer rationalen Vernunftsbildung vornehme,
einfach auf ein paar Wege hinweisen, wie systematisch diese Verfahren unterlaufen werden.
Und die sind jetzt ganz bewusst alle aus dem amerikanischen Kontext gewählt,
um nochmal deutlich zu machen, dass wir diese Verfahren in besonders starker
Weise in den USA angegriffen sehen.
Natürlich auch hierzulande, aber noch nicht so ausgeprägt.
Starten kann man an der Stelle vielleicht mit dem Conway-Move.
Ein Tag nach der ersten Amts-Einführung von Trump 2017 erklärte der Sprecher
des Weißen Hauses damals, es war das
größte Publikum, das jemals einer Amtsanweihungsfeier beiwohnte. Punkt.
Sowohl vor Ort als auch rund um den Globus.
Im Interview tags darauf wurde dann Kellyanne Conway, eine hochrangige Beraterin
von Trump, mit Bildern, die die falsche Aussage offenkundig machten, konfrontiert.
Und in Reaktion darauf hat sie dann diesen Begriff der alternativen Fakten geprägt.
Der Kontext ist wichtig, wie das zustande kam, denn es heißt bereits,
dass sozusagen ein Grundprinzip der Vernunftsbildung, der Verfahren der Vernunftsbildung
ausgesetzt wird, nämlich dass Falsifikation als Zurückweisung anerkannt wird.
Das ist die Möglichkeit der Falsifikation gibt, indem man einfach sagt,
nee, es gibt eben alternative Fakten, wird genau die Möglichkeit der Falsifikation zur Rückenung.
Und das bezieht sich auf das Verfahren an der Stelle.
Zweitens, Marlboro Move. Damit ist die Strategie der von Nils Comca sogenannten
unbestimmten Negation angesprochen.
Das Vorbild ist die Tabakindustrie der 50er Jahre, die irgendwann realisierte,
sie können gar keine vernünftigen wissenschaftlichen Produkte mehr gegen die
These von der Schädlichkeit des Rauchens stellen.
Von da an wurden nur noch Thinktanks finanziert, die nur noch das eine machten
im Prinzip Zweifelsfalten. Ja, aber man kann ja nie ganz sicher sein bei der Wissenschaft.
Genau das ist das, was heute auch die Klimaleugner machen und ein Finanzier
des Zweifelsstreuens und Chef eines Fracking-Unternehmens, Bruce Wright,
ist jetzt Energieminister in den USA.
Drittens, I did my own research. Dabei geht es um die freihändige Zusammenstellung
der wissenschaftlichen Ergebnisse durch selbsternannte, selbstautorisierte Individuen.
Es geht dabei um die Infragestellung der privilegierten Rolle der Wissenschaft
bei der Interpretation von Daten.
Diesen Sog konnten wir in Deutschland im Zusammenhang mit der Corona-Krise beobachten
und ist auch sozusagen gerade im Sinne der Selbsterhöhung des Individuums bei
der Wahrheitsfindung herausgekommen.
Gearbeitet worden von verschiedenen Autoren. Ein solcher Impfgegner Robert F.
Kennedy ist seit 2025 Gesundheitsministerin.
Last but not least der Bannon-Move, und das ist sicherlich sozusagen der zentrale
und wichtigste Move, der sich gar nicht immer gegen die Wissenschaft,
sondern eben gegen die Öffentlichkeit als solches richtet.
Er ist selbst ganz klar bezeichnet worden von Steve Bannon, sicherlich einer
der belesensten Menschen in der ersten Amtsadministration mit den Worten, flat the zone with shit.
Und wieder taucht dieser Begriff auf. Die Öffentlichkeit soll dem auch mit allen
möglichen Unsinn, absurden Informationen, Faktenvertrehungen und Hetze überladen werden.
Die daraus entstehende Kakophonie verschließt die Ohren der Zuhörerinnen und
Zuhörer und entwertet damit den Effekt der öffentlichen Debatte auf das Denken der Menschen.
Im Kampf wird dadurch der Glauben an die Möglichkeit der rationalen Konstruktion
geteilter Wahrheiten untergraben.
Und das ist vermutlich die radikalste Vorbereitung, der Infragestellung dieser,
wenn man so will, sozialen Epistemologie, über die ich hier spreche.
Das Ziel all dieser Moves ist es, die Verfahren öffentlicher Vernunft außer Kraft zu setzen.
Nochmal ist die Verfahren öffentlicher Vernunft angegriffen.
Vieles deutet darauf hin, dass dieser Erfolg das Ergebnis einer bewussten politischen Strategie ist.
Was als Inkompetenz daherkommt, erweist sich im Ergebnis als destruktive Kompetenz.
Es ist ein Mittel des Machterwerbs.
Eben hier Strategien lassen sich zumindest in Ansätzen bei allen autoritär-populistischen
Parteien und zurzeit beobachten.
Die Alternative für Deutschland war bisher in dieser Hinsicht allerdings etwas
weniger erfolgreich als die Trumpisten in den USA. Herzlichen Dank,
Michael Zürn, für diese Einlassung.
Da war schon vieles dabei, was wir nochmal vertiefen werden.
Wir werden aber jetzt gleich anschließend mit Nils C. Kunker,
Soziologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Sozium der Universität Bremen,
dort am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik erforscht,
eben genau zu diesen Themenfeldern, zu sozialer Ungleichkeit und politischen Protest,
um es ein bisschen zu präzisieren.
Und wir freuen uns jetzt, Nils Kunker, dass Sie fortsetzen werden,
bevor wir dann miteinander ins Gespräch kommen.
Und ich möchte nochmal auffordern dazu, nutzen Sie gerne schon mal den Chat
und schreiben Sie Ihre Gedanken, Ihre Fragen möglicherweise schon mal rein.
Ich sammle das Ganze und habe das alles im Blick. Bitte, Nils Kunker.
Ja, also ganz, ganz vielen herzlichen Dank. Vielen Dank für die Einladung.
Vielen Dank für die freundliche Einführung.
Und vielen Dank dir, Michael, für den Vortrag, der mich jetzt ins Nachdenken
gebracht hat, weswegen ich gerade zwei Gedankenstränge parallel im Kopf habe.
Wenn die sich verknoten sollten in den folgenden fünf Minuten,
dann bitte ich dafür um Entschuldigung.
Dann kriegen wir das in der Diskussion vielleicht auch wieder.
Entfriemeln wir das dann wieder, natürlich. Genau, dann entfriemeln wir das einfach wieder.
Ich gebe dir vollumfänglich bei fast allem recht.
Und ich glaube auch, dass die Diagnose, die sozusagen den Titel der Veranstaltung
gibt, also der Verlust der Vernunft, weitestgehend unstrittig ist.
Womit ich mich beschäftigt habe, und das ist ja so ein Forschungsschwerpunkt
von mir in den letzten Jahren gewesen, die Beobachtung der Selbstbeobachtung
der Gesellschaft, also diese Frage, wie über genau dieses Problem gesprochen wird.
Dazu würde ich heute gerne noch zwei, drei Takte sagen. Ich möchte aber was
vorweg schicken, weil mir das jetzt schon zwei Bücher hintereinander passiert
ist, dass Leute das lesen und dann immer sagen, ich hätte eine Entwarnung gegeben,
weil ich bei den alternativen Fakten gesagt hätte, dass die Leute das gar nicht
glauben und weil ich bei der Polarisierung gesagt habe, dass die gar nicht in
den Köpfen der Leute stattfindet.
Das ist ganz dezidiert keine Entwarnung.
Also wenn ich mich jetzt darum bemühe, an zwei, drei Stellen das Problem nochmal
ein bisschen anders anzufassen, dann nicht, um zu sagen, dass das Problem kleiner ist,
sondern weil ich glaube, dass so wie es im öffentlichen Diskurs bearbeitet wird,
wir uns mitunter Zugriff auf Lösungen dadurch verstellen, dass wir das Problem
von der falschen Seite angehen.
Das heißt aber nicht, dass das Problem nicht da ist, zumindest als politisches
Problem. Das ist mir sozusagen wichtig vorweg.
Und von diesem Winkel aus würde ich jetzt sozusagen eine leichte Kurve ins Thema
einbiegen und anfangen mit der Diagnose einer Wahrheitskrise.
Denn es ist, und das war bei meinem Buch 2022 Alternative Fakten,
wichtiger Ausgangspunkt, eine interessante Beobachtung, dass retrospektiv wir
inzwischen relativ viele Geschichten haben, die in den 50er Jahren anfangen,
sozusagen das Problem zu beschreiben, das wir jetzt haben.
Und es aber, wenn man sich die öffentliche Problematisierungsweise davon anguckt,
eben doch so ist, dass es eine ganz, ganz junge Konjunktur ist.
Also eigentlich sprechen wir
ernsthaft von einer Wahrheitskrise seit 2016 mit der Wahl Donald Trumps.
Und das ist, und das passt ja sehr gut zu dem, was du gerade gesagt hast,
hängt damit zusammen, dass wir es, glaube ich, im Kern mit einer politischen
Problemdiagnose zu tun haben.
Also ich erinnere mich noch sehr gut im Wahlkampf 2016. Vor der Wahl war der
Konsens öffentlich, dass so jemand wie Donald Trump gar nicht gewählt werden
kann, weil der so viel Blödsinn redet.
Der Diskurs hat dann ein halbes Jahr gebraucht, um umzuschalten auf,
er wurde gewählt, weil er so viel Blödsinn redet.
Und seitdem haben wir eine Wahrheitskrise.
Und das habe ich in dem alternativen Faktenbuch ein bisschen versucht und versucht herauszuarbeiten.
Da kommen verschiedene Faktoren zusammen. Was wir beobachten,
ist in der Tat gezielte politische Indienstnahme von Unwahrheit,
die eben nicht darauf abzieht, die Leute vom Falschen zu überzeugen,
also nicht zu lügen, sondern eigentlich eher zu verhindern, dass öffentlich
an Wahrheitskommunikation noch unproblematisch angeschlossen werden kann.
Also das, was wir beobachten, wenn wir ganz viel Propaganda aus diesem Bereich,
den ich als Fakten genannt habe, wenn wir den angucken, ist,
darauf, worauf es zielt, ist eigentlich so gut wie nie die Leute von irgendwas
Bestimmtem zu überzeugen, sondern immer zu verhindern, dass in der öffentlichen
Kommunikation weiterhin unproblematisch auf das Bezug genommen werden kann, was man da leugnet.
Das ist mitnichten eine Entwarnung, weil das in der Tat ein grandioses politisches Problem ist.
Aber es soll sozusagen darauf hindeuten, ich glaube, wir sind gut beraten,
nicht zu viel Energie da rein zu investieren und uns immer zu fragen,
wie wir die Leute dann doch vom Richtigen überzeugt kriegen,
sondern vielmehr scharf zu stellen auf die Konflikte, in denen diese Form von
Leugnungsstrategie Sinn macht.
Und das würde ich noch mal unterstreichen für die Jüngere, nicht seit 2016,
sondern erst seit 2020, öffentlich stark diskutierte Semantik der Wissenschaftsskepsis
und des Wissenschaftsvertrauens als Problem.
Da hat sich mir gezeigt, ich habe das für einen längeren Journal-Artikel,
Science is Minds heißt, der kann man sich gut merken,
recherchiert, dass es da in der Tat so ist, dass die Sorge um die Wissenschaftsskepsis
ist eigentlich die Corona-Pandemie, wenn man sich die Verteilung der öffentlichen
Erwähnung dieser Begriffe anguckt.
Die paradoxerweise allerdings in Umfragen gleichzeitig der Zeitpunkt ist,
wo die meisten Leute Vertrauen in die Wissenschaft bekunden und der Anteil der
Leute, die kein Vertrauen in die Wissenschaft haben, so gering ist wie sonst nie.
Auch da möchte ich nicht darauf hinaus zu sagen, es gibt da kein Problem,
die Leute vertrauen doch der Wissenschaft,
sondern auf das Problem hinweisen, dass wir es vielleicht bei diesem Begriff
der Wissenschaftsskepsis das mit so einem falschen Container im Sinne eines
präkonstruierten Objekts zu tun haben.
Also wir sehen ein Problem in der öffentlichen Debatte. Die Leute verhalten
sich nicht so, wie wir es als Schlussfolgerung aus der Wissenschaft sinnvoll fänden.
Und sie feinden Wissenschaftler an und sie tun auch ansonsten lauter Dinge, die wir ablehnen.
Und weil wir uns nicht vorstellen können, dass man das tut, wenn man der Wissenschaft
vertraut, so summieren wir das unter der Kategorie der Wissenschaftsskepsis.
Und es ist allerdings wirklich so, wenn man die Empirie dazu konsultiert,
ist alles andere als klar, was Wissenschaftsskepsis dann jeweils sein soll.
Also dass es wirklich so ist, dass die Leute individuell je subjektiv der Wissenschaft
nicht vertrauen, im größeren Maße als früher, dafür gibt es sehr, sehr wenig Anzeichen.
Was es gibt, sind Normkonflikte, also Leute widersprechen bestimmten wissenschaftlichen
Befunden, weil sie nicht in der Weltbild passen.
Was es auch gibt, sind Angriffe auf konkrete Wissenschaftlerinnen,
denen man meistens vorwirft, sie hätten die Grenze der Wissenschaft übertritten und Politik gemacht.
Und was es gibt, ist blanke Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse im politischen Betrieb.
Aber darin zeigt sich eben erst mal zumindest kein subjektiv verankertes Mangel des Systemvertraums,
sondern eben, und das nächste Kurve, wieder langsam zurück zur Ausgangsdiagnose,
was sich zeigt, meiner Meinung nach, ist in der Tat eine Systemkrise im Sinne
eines Verlustes der Vernunft der öffentlichen Kommunikation.
Also, wir haben es mit zwei problematischen Entwicklungen zu tun,
die sich gegenseitig verstärken, aber glaube ich voneinander erstmal kausal unabhängig sind.
Das eine ist, wir haben es mit einer Wahrheitskrise der Gesellschaft im Sinne
einer Beobachtungskrise zu tun.
Das heißt, immer mehr Kommunikation ist der öffentlichen Beobachtung zugänglich
und damit wird auch immer mehr Kommunikation auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbar.
Das geht Hand in Hand mit einer Demokratisierung insgesamt, also einer Ausweitung
dessen, über was politisch besprochen werden kann und von wem.
Was einerseits den Effekt hat, dass Lügen, also das einfache,
richtige Lügen, wo man Leuten einfach das Gegenteil erzählt,
schwieriger geworden ist, weil die Wahrheit readily available ist.
Das erfordert sozusagen andere Formen der Leugnungsstrategie.
Und es führt auf der anderen Seite aber eben auch dazu, dass jeder Blödsinn
beobachtbar geworden ist.
Das heißt, dass oft, wenn Leute sich vielleicht früher mehr oder minder schweigsam
um die Wahrheit herum gedrückt hätten, weil sie einfach keine Lust haben oder
weil sie gerne ins Kino wollen, trotz Ausgangsverbot oder so,
sie das heute öffentlich kommentieren und das dann als Wahrheitsverweigerung
auch sichtbar wird. Das ist, glaube ich, der eine Effekt und der ist, glaube ich.
Zwar auch der Trick bei zu einer Krise der liberalen institutionellen Vernunftsroutinen,
wenn man so möchte, gehört aber auch dazu.
Es ist eigentlich ein Stück weit auch ihre sinnvolle Verlängerung.
Also die Ausweitung der Sphäre der öffentlichen Rede erzeugt dieses Problem ein Stück weit auch mit.
Und auf der anderen Seite beobachten wir aber, was man, finde ich,
vielleicht, wenn Lukasch den Titel nicht gemobst hätte, schon viel besser mit
Zerstörung der Vernunft bezeichnen könnte.
Nämlich die gezielte Verweigerung politischer Akteure, sich Wahrheitskommunikation zu unterwerfen.
Und ich glaube nicht, dass das sozusagen aus einer allgemeinen Erosion der Wahrheitsnorm
hervorgeht, sondern es ist, glaube ich, eine Machtdemonstration in einer politischen
Krise, die durch verschärften Konflikt gekennzeichnet ist.
Und ich glaube, es ist wichtig, ohne dass ich jetzt sozusagen ein Angebot machen
könnte, wie man die beiden konkret jeweils scheiden kann, aber es ist,
glaube ich, wichtig, dass man im Kopf behält, dass das zwei unterschiedliche Dinge sind.
Also wenn Robert Kennedy den Leuten sagt, sie sollen their own research tun,
dann ist das eine Zerstörung der Vernunft.
Wenn man im Internet in irgendwelchen Foren von Leuten liest,
dass sie their own research getan haben, dann ist das in der Regel eine Bekundung
einer Souveränität über die eigene Entscheidung, über das Vertrauen zu konkreten
wissenschaftlichen Befunden.
Vor denen ich sagen würde, so problematisch die in ihren jeweiligen Konsequenzen
sind, insgesamt fügen die sich sozusagen in das, was wir normativ eigentlich
erwarten von informierter Teilhabe an der öffentlichen Vernunft.
Und genauso ist es, glaube ich, mit viel Wissenschaftsfeindlichkeit auch,
dass manchmal die Fine Line nicht nur ist, ob sie berechtigt ist oder nicht,
sondern auch in welchem Register sie abgerufen wird.
Also ob Leute sich konkreten Befunden verweigern oder konkreten Wissenschaftlerinnen
misstrauen oder bestimmte Wissenschaftsrichtungen irgendwie ablehnen oder so,
ist was anderes als politische Angriffe auf Teile der Wissenschaft.
Und auch wenn die gelegentlich ineinandergreifen mögen, glaube ich,
darf man nicht den Fehler machen, das eine aus dem anderen abzuleiten.
Das ist sozusagen der Umweg.
Ich hoffe, damit ist auch ein bisschen klar geworden, warum ich meinte,
eine Entwarnung ist es nicht.
Worum es mir eigentlich nur geht, ist sozusagen dieses, wenn wir von sowas sprechen
wie dem Verlust der Vernunft,
Das nochmal zu unpacken und zu sagen, gerade wenn es um die Wissenschaft geht,
müssen wir, glaube ich, das Systemvertrauen, dessen Krise oft unterstellt wird,
scheiden von einem praktischen Problem, dieses Systemvertrauen zur Geltung zu
bringen, was aber viel an politischen Sabotagestrategien scheitert.
Und die auf eine Art und Weise zu benennen, die Autonomie von Wissenschaft stärkt,
das ist, glaube ich, die Herausforderung.
Also wie kriegen wir es hin, Wissenschaftsautonomie so zu artikulieren,
dass man solche Angriffe abwehren kann, ohne damit einfach nur auch politisch zu werden?
Weil das ist ja die Tücke dieser Strategie, dass diese politischen Angriffe
auf Wissenschaft, wenn man sie politisch abwehrt, im Zweifel immer so gelesen
werden können, als würden sie dem Angreifer recht geben.
Also wenn einem vorgeworfen wird, man wäre politisch nicht neutral,
dann ist es alles andere als trivial, diesen Vorwurf zurückzuweisen,
ohne sich dabei sozusagen in die Falle einer politischen Stellungnahme drängen zu lassen.
Mitunter mag das auch unvermeidlich sein, aber es ist halt ein Dilemma,
mit dem man irgendwie leben muss.
So, und ich hoffe, so habe ich jetzt meinen ursprünglichen Plan mit meinen neuen
Ideen so zusammengebracht, dass man mitkam.
Sonst haben wir eine Diskussion. Ich bedanke mich auf jeden Fall erstmal.
Ich danke Ihnen, Nils Kunker, für diese Einlassung.
Michael Zürn, gibt es erstmal etwas, worauf Sie direkt Stellung nehmen möchten?
Also zu entprimern gibt es ja nicht.
Ich glaube, die beiden Gedankenstränge sind sehr schön zusammengebracht worden.
Ich will vielleicht einen Punkt unterstreichen und beim anderen einfach ein
kleines Fragezeichen anbringen. Das, was ich unterstreifen möchte,
ist, Wissenschaftskepsis trifft nicht das Problem unserer Zeit.
Ich glaube tatsächlich, dass auch jetzt nach einem gewissen Rückgang des Glaubens
in die Wissenschaft nach der Corona-Krise wir immer noch auf absoluten Höchstwerten sind.
Und der entscheidende Punkt ist ja, dass diejenigen, die wissenschaftliche Meinungen,
Positionen zurückweisen, häufig sich genau wiederum auf die Wissenschaft beruhen.
Damit kommt natürlich gerade nicht eine Wissenschaftsskepsis zum Ausdruck.
Also ich hatte viele Diskussionen nach dem Sport mit Sportskameraden,
die sehr, sehr skeptisch waren, was die Gefährlichkeit des Coronavirus anbetrifft.
Und ich meine, die haben mir permanent Daten und Wissen um die Ohren geworfen,
wo ich nur sagen konnte, habe ich noch nie gehört, bis die dann irgendwann sagten,
wer ist eigentlich hier der Wissenschaftler, wir oder du?
Und sozusagen der entscheidende Punkt an der Stelle ist ja, dass man dann sagt,
naja, Wissenschaftsgläubigkeit heißt eben auch, dass man anerkennt,
dass es bestimmte epistemische Autoritäten gibt.
Die die Daten besser interpretieren können als ich selbst.
Und genau an der Stelle tritt das Problem auf.
Es ist nicht Wissenschaftskepsis, es ist die Nichtanerkennung dessen,
was man epistemische Autoritäten bezeichnen kann,
die natürlich von der Wissenschaft selbstbestimmt werden sollten und nicht von der Gesellschaft.
Das ist sozusagen an und für sich etwas Undemokratisches.
Das ist richtig, wenn man sagt, es gibt bestimmte Dinge, wo eben manche Leute
besser Bescheid wissen als man selbst.
Aber es ist natürlich in dieser Epistemologie der Vernunft schon immer eingebaut.
John Mill hat gesagt, naja, wenn wir nicht dabei waren bei einem Ereignis,
dann sollten wir besser auf andere hören.
Das ist sozusagen die Logik, die an der Stelle angegriffen wird.
Ich weiß es alles selbst, auch wenn ich nicht dabei war.
Der zweite Punkt, wo ich jetzt das kleine Fragezeichen stellen möchte, Nils, du sagst es,
Zerstörung der Vernunft oder Unterkrabung der Vernunft oder Angriff auf die
Vernunft ist, wenn Kennedy im Prinzip die Leute auffordert, die epistemischen
Autoritäten nicht anzuerkennen.
Es ist aber noch keine Zerstörung der Vernunft, wenn es die Leute nicht machen.
Da bin ich mir jetzt nicht so sicher, weil ja beides im Prinzip in Frage stellt
bestimmte Verfahrensweisen, bestimmte
Verfahrenslogiken der Produktion von Vernunft in der Öffentlichkeit.
Und da würde ich, glaube ich, fast dazu tendieren, natürlich ist das,
was Kennedy macht, schlimmer, aber beides ist ein Teil dieses Prozesses der
Unterminierung der Vernunft.
Das ist wahrscheinlich einfach der Unterschied, den ich an der Stelle deutlich machen wollte.
Ansonsten gibt es, glaube ich, ein hohes Maß an Übereinstimmung.
Entscheidend an der Übereinstimmung, und das will ich unterscheiden,
ist ja, dass wir es beide sozusagen als Teil einer politischen Strategie sehen.
Eine instrumentelle Zerstörung der Vernunft und nicht eine, die irgendwie aus
neuen Konstellationen wie sozialen Medien erwächst,
sondern sozusagen Teil einer politischen Richtung ist, die genau gegen die Vernunft
ankämpfen muss, um politisch erfolgreich sein zu können.
Ja, herzlichen Dank erstmal für diese Reaktion.
Ich sehe eine Hand bei unseren Teilnehmenden und würde Sie bitten,
Ihre Frage, liebe Teilnehmende, wie ich schon sagte, im Chat zu formulieren.
Ich hoffe, dass ich das dann auch hier sehen kann. So war das eigentlich gedacht.
Wir schauen mal, hier ist auch schon ein bisschen was. Genau,
sehe ich, werde ich gleich einbringen.
Vielen Dank schon mal dafür. Möchte aber nochmal ein bisschen zurückspulen in der Debatte, denn...
Fest zu halten wäre vielleicht, wir leben ja in einer Welt, in der das Wissen
noch nie so groß und für alle eben zugänglich war.
Das haben Sie auch in unterschiedlichen Variationen hier nochmal als Punkt so formuliert.
Jetzt frage ich mal ein bisschen ketzerisch, ist das Teil des Problems,
also die vermeintliche Demokratisierung des Wissens oder ist es tatsächlich
nur der politische Missbrauch, der eben dann obendrauf kommt?
Und wer von Ihnen möchte vielleicht dazu noch was nennen? Nils, du bist dran.
Also ich meine, es hängt natürlich immer an der Frage, was man als Problem dann
bezeichnen will. Aber es gehört zusammen.
Also es ist auf der einen Seite in der Tat so, dass man sagen kann,
in dem Moment, wo Wissenschaft als Expertise zum Beispiel nicht nur die Funktion hat,
Outcomes zu garantieren, im Sinne von, ich höre als Herrscher auf den besten
Wissenschaftler, damit mir meine Brücken nicht einstürzen,
sondern auch meine Input-Legitimität erhöht im Sinne von, ich kann meine Entscheidung
gegenüber dem Publikum rechtfertigen, weil ich auf die richtigen Experten gehört
habe, auch wenn die Brücke dann einstürzt.
In dem Moment taucht natürlich im demokratischen Konflikt immer ein Problem
auf, wer eigentlich aus welchen Gründen Expertise, Autorität zumisst.
Also der Verdacht, dass die Regierung sich zum Beispiel ihre Experten raussucht,
weil die so gut zu dem passen, was sie ohnehin vorhaben, der ist schlechterdings
nie aus der Welt zu schaffen und meistens auch begründet.
Opposition reagiert darauf ja auch schon seit mehreren Dekaden,
seit den 80ern verstärkt, dadurch, dass es was wie Gegenexpertise gibt.
Also die Grünen und die ganze Anti-Atomexpertise heute wären ohne einander kaum denkbar.
Das muss nicht notwendig einen Verlust der Vernunft bedeuten,
aber es bedeutet einen ständigen Verdacht gegenüber denjenigen,
die für die Vernunft sprechen.
Ein Stück weit wandert die Vernunft von der Person ins Verfahren in dem Moment,
weil wenn wir noch Möglichkeiten finden, dann über Expertise zu befinden,
dann ist das kein Problem.
Aber wir können nicht mehr den Experten als Autorität für das Wissen dahin stellen.
Das ist natürlich in Akutsituationen wie der Corona-Pandemie nochmal ein verschärftes Problem.
Das wollte ich auch gerade nochmal zu deinen Sportskollegen sagen, Michael.
Das ist in vielerlei Hinsicht ja vor allen Dingen dann ein Problem,
wenn es einen akuten Handlungsdruck gibt.
Also erstmal ist sich selber angucken, welchem Wissenschaftler man glauben will,
weil die sagen irgendwie Unterschiedliches und so und sich da so schlau,
wie man das irgendwie hinkriegt zu machen, ist ja noch keine Verweigerung gegenüber Vernunftmaßstäben.
Es ist sozusagen erst dann ein Problem, wenn man daraus ableitet,
dass man sich in einer akuten Handlungssituation dem anderen Wissen nicht unterwirft,
weil es im Zweifel besser ist.
Aber was jetzt, um das Problem wieder zu fassen zu kriegen, was dann eben passiert
ist, das ist eine Bruchstelle, an die man natürlich auch böswillig anknüpfen kann.
Also in dem Moment, wo das so ist, kann ich immer sagen, aber der andere ist politisch ausgesucht.
Der Verdacht lässt sich gar nicht mehr aus der Welt schaffen.
Und wenn ich sozusagen in dem verharre, ohne eine Gegenexpertise zu produzieren,
sondern einfach nur jede Form von Expertise torpediere, dann kann man es schon
ganz schön weit bringen mit der Sabotage eines rationalen Dialogs.
Also insofern würde ich sagen, das Erste ist eigentlich nicht Teil des Problems,
weil das nicht unser Problem ist, das ist einfach Demokratisierung,
aber es ist eine Bedingung dafür, dass das Zweite so begreift.
Da sind wir auch ganz schnell wieder beim Bullshitting im Prinzip.
Also dieses Böswillige, das Verächtlich Machende, das Manipulativ Eingreifende.
Da fragt man sich schon, warum verfängt das eigentlich so gut?
Hier gibt es eine Wortmeldung, die möchte ich gerne dazu auch nochmal vorlesen aus dem Chat.
Da schreibt und ich sage jetzt einfach hier auch mal von wem das kommt,
GPG, wer auch immer das ist.
Das Bullshit-Phänomen, also die Zustimmung zu offenbarem Blödsinn,
ist eine Widerstandshandlung.
Ursache dafür ist der Vertrauensverlust in die Lösungskompetenz der Rationalität.
Nicht zuletzt, weil die Rationalität, Stichwort Gutachterkriege,
ihre Gültigkeit eingebüßt hat. Das Publikum glaubt sowieso nichts.
Und das Bullshit-Phänomen ist auf Seiten der Beschalten eine Wiedereinführung
des Dada und auf Seiten der Bullshitter organisierte Dekonstruktion des Mainstreams.
Also ein komplexer Gedankengang, aber ja, als Protestkultur,
vielleicht sind wir da auch, Nils Kunker, gleich wieder bei ihrem Forschungsfeld,
dass eben dieses Bullshitting auch Teil einer Protestkultur global zu beobachten wäre.
Gerne stellen sich solche Menschen zumindest auch als solche dar.
Ist das Protest? Kann man das im soziologischen Sinne eigentlich so als solchen
bezeichnen, möchte ich mal fragen?
Ja, im soziologischen Sinne kamen fast alles als Protest bezeichnet.
Das ist nicht einfacher. Nee, aber andersrum wird, glaube ich, ein Schuh draus.
Also erstens ist es bei Frankfurter ja auch so, dass Bullshit erstmal eine Form des Rauswieselns ist.
Also Bullshit ist ja eigentlich gerade der Versuch, sich bestimmten Bewertungsinstitutionen
zu entziehen, indem man einfach drumherum labert im Bewerbungsgespräch.
Das ist ja eigentlich sein Beispiel, wo Leute versuchen, sich als kompetent
darzustellen, obwohl sie keine Ahnung haben.
Das ist natürlich weder Dada noch Protest. Was wir aber in den letzten Jahren
beobachtet haben, ist eine Verquickung von politischem Konflikt mit Bullshitting.
Das heißt, das, was die Leute da machen, ist in der Tat Protest.
Die Frage ist nur, ob das, was sie als Bullshitting betreiben,
integral zum Protest gehört oder eine Art und Weise ist das zu kamouflagieren.
Und meine These wäre das Zweite.
Also es gibt diese Messung, dass 50 Prozent aller Teilnehmerinnen auf den Corona-Demonstrationen
nicht glauben, dass die Gefährlichkeit des Coronavirus übertrieben ist.
Das heißt, 50 Prozent der Leute, die auf Demonstrationen gegen die Pandemie
gehen als Querdenkerinnen, glauben, dass das Virus genauso gefährlich ist, wie man sagt.
Beziehungsweise 45 Prozent. Aber das heißt, die sind aus anderen Gründen und
die mögen unterschiedlich satisfaktionsfähig sein, aber es sind auf jeden Fall
nicht die, dass es das Coronavirus nicht gibt. trotzdem demonstrieren sie unter dem Motto.
Und das wäre meiner Meinung nach eine Form des Bullshittings als ein Ausweichen
gegenüber der eigentlichen politischen Konfliktfrage.
Also gerade weil man es nicht schafft, seinen Punkt politisch satisfaktionsfähig
zu machen und zu sagen, ich habe hier einen Widerspruch, den ich begründen kann,
weicht man sozusagen der Arena der Begründung aus.
Und das mag mitunter Selbstermächtigung sein, das mag mitunter auch eine künstlerische
Qualität haben, All das ist ja nicht ausgeschlossen, aber ich würde sagen,
in der Masse ist das kein Protest, sondern eigentlich gerade das Ausweichen
vom politischen Konflikt.
Das ist aber extrem erfolgreich. Bis zum nächsten Mal.
Ich würde gerne von beiden wissen, inwiefern sie in der Figur von Donald Trump
die Basis vom Verlust der Vernunft bzw.
Wissenschaftsskepsis sehen. Was wäre die Rolle der sozialen Medien für den Verlust
der Anerkennung von den sogenannten epistemischen Autoritäten?
Ja, Michael Zorn, gibt es dazu etwas, was Sie uns erzählen können?
Ja, ich habe natürlich ganz bewusst jetzt Trump sehr stark in den Mittelpunkt
gestellt, als jemand, wo nun sozusagen diese permanente Attacke auf diese öffentliche
Vernunft immer und ganz deutlich sichtbar wird.
Und zwar sowohl bevor er an die Macht kam, als auch seitdem er an der Macht
ist, wo wir ja nun sozusagen mit großer Besorgnis sehen, wie dort die Wissenschaft
als Ganzes bekämpft wird.
Übrigens in der Art und Weise, wie wir sie historisch noch nie erlebt haben.
Weil sozusagen traditionell sogar totalitäre Systeme natürlich immer nur einen
Teil der Wissenschaft angegriffen haben und den anderen die Raketenwissenschaft
sozusagen vehement gefördert hat.
Was wir im Moment sehen, ist sozusagen, Naturwissenschaft wird in Geisel genommen,
damit die Geisteswissenschaften diszipliniert werden können.
Ein so umfänglicher Angriff, wie man ihn selten gesehen hat.
Also insofern ist es schon richtig, dass Trump an der Stelle an einer absolut
zentralen Stelle steht.
Das Ganze wäre natürlich ohne und der Erfolg dieser gesamten Strategie der Entwertung
der Vernunftsverfahren wäre ohne soziale Medien sicherlich nicht in derselben Weise möglich,
weil eben die Rolle der Qualitätsmedien als Schiedsrichter in solchen Auseinandersetzungen
geschwächt ist und eben vieles unmittelbar und hoher aufeinandertrifft.
Aber das ist für mich in dem Sinne eben bestenfalls ein ermöglichender Kontext,
nicht die Ursache als solches.
Also ich würde zustimmen, ohne das wäre es nicht möglich gewesen.
Aber das ist eigentlich nicht in dem Sinne die Ursache, weil eben soziale Medien
anders genutzt werden konnten, als sie genutzt werden.
Ich will noch einmal ganz kurz zurück, wenn ich jetzt schon am Reden bin.
Ich weiß auch gar nicht, ob ich jetzt sozusagen notwendigerweise einen Zusammenhang
zwischen, also immer mehr Wissen heißt ja im Prinzip zwei Dinge,
absolute oder zunehmende Transparenz und Bildungsrevolution.
Ob ich jetzt einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Dingen und diesen Attacken
auf die irgendeine Vernunft ziehe, weil natürlich beides,
im Prinzip sowohl Transparenz als auch mehr Bildung, nicht notwendigerweise
dazu führen sollte, dass man epistemische Autoritäten so stark infrage stellt.
Und jetzt kann man sagen, naja, deswegen gibt es eben diese Gutachterkriege,
so wie es genannt worden ist.
Aber an der Stelle scheint mir wichtig zu sein, dass es natürlich an dem Punkt,
um den es eigentlich geht, Es geht ja nicht darum, ob man jetzt sozusagen bestimmte
Ausgehverbote für falsch oder richtig hält.
Das ist ja völlig legitim, sie sowohl für falsch als auch für richtig zu halten,
sondern es geht letztendlich genau um die Frage, die Nils angesprochen wird,
ist der Virus gefährlich oder nicht?
Und da gibt es einfach nur eine Antwort, er ist gefährlich. Und wenn dann 55
Prozent glauben, dass er nicht gefährlich ist, dann besteht das Problem in gewisser
Weise. Und an der Stelle gibt es auch keine Gutachterkriege.
Mein Eindruck ist vielmehr, damit sind wir bei dem Thema Polarisierung,
mein Eindruck ist vielmehr, dass die Wissenschaft hinsichtlich der traditionellen
Konfliktlinie zwischen links und rechts, zwischen Arbeit und Kapital eigentlich
weitgehend als neutral wahrgenommen worden ist.
Weitgehend. Es gab natürlich immer Debatten.
Während wir jetzt bei einer neuen Konfliktlinie, wo es um Fragen der Offenheit
von Grenzen geht und das Verhältnis von Mehrheitsempfinden versus Individualrechte,
um die Frage der Wohlfahrtsgewinne durch offene Grenzen etc.
Bei all diesen Fragen nimmt Wissenschaft eine eindeutige politische Position
ein, nämlich zugängsten derjenigen, die für offene Grenzen sind,
die für Individualrichter sind.
Die also für sozusagen die neue kosmopolitische Position stehen und gegen die
lokal-homeland-orientierte Position.
Und diese Verschiebung von einer als neutral anerkannten Instanz zu einer Partei.
Also in der Wahrnehmung, ich rede jetzt über die Wahrnehmung,
in einer Konfliktlinie könnte ein entscheidender Grund dafür sein,
dass Wissenschaft eben viel, viel mehr nicht mehr als glaubwürdige,
neutrale Instanz, sondern als Partei wahrgenommen wird.
Ja, vielen Dank nochmal für diese Erläuterung.
Ich würde gerne noch zu Gegenstrategien kommen, denn dazu sitzen wir heute auch
hier gemeinsam virtuell, um genau darüber nachzudenken, wie auf solche Tendenzen
und Phänomene zu reagieren ist.
Aber will gerne nochmal in den Chat schauen.
Hier gab es übrigens noch eine Ergänzung zu dieser ersten Frage,
Donald Trump, weil er immer wieder hier erwähnt wird, das Jahr 2014 wird hier
auch noch geltend gemacht in Brasilien.
Das Wahlergebnis und das Wahlsystem wurde von der besiegten Partei in Frage
gestellt, Bolsonaro und Co.
Ja, in der Tat, vielen Dank dafür. Und hier gibt es nochmal eine andere Einlassung.
Hier wird gefragt, ob nicht die Opposition gegen die Eliten in den USA und anderswo
es notwendig macht, die Wissenschaft schlecht zu machen.
Bullshitting hat deswegen strategische Bedeutung in dieser spezifischen Situation.
Wenn die Wissenseliten linksliberal sind, dann müssen sie diskreditiert werden.
Dann wäre Bullshitting keine allgemeine politische Strategie.
Das vielleicht nochmal dazu. Also wo wird was politisch verortet?
Aber das haben Sie, Michael Zorn, ja auch gerade nochmal aufgedröselt.
Danke für die Frage im Chat. Lassen Sie uns tatsächlich über Gegenstrategien
nochmal nachdenken in den Medien.
Faktenchecks und so weiter und so fort werden angestrengt.
Dafür werden auch riesige Ressourcen in Gang gesetzt. Ist ja auch richtig und gut so.
Die Frage ist nur, was bringt es?
Möglicherweise tut es das ja an manchen Stellen.
Aber gibt es da irgendeine Art von Best Practice?
Die kommt gerade vor Was ist die Wahrheit gegenüber?
Überzustellen, die Fakten gegenüberzustellen, ist eine, wie wir jetzt in den
letzten Jahren gesehen haben, nur sehr, sehr bedingt erfolgreiche Strategie.
Und insofern auch Faktenchecks etc.
Haben eine sehr, sehr begrenzte Wirksamkeit. Mir scheint das schon wichtig zu sein, sein, dass,
Diejenigen, die die öffentliche Vernunft verteidigen wollen,
diese Debatten, die wir jetzt führen, auch eben in dieser Öffentlichkeit führen.
Es geht also weniger darum, sozusagen die einzelne Aussage mit ihrem mangelnden
Wahrheitswert zu konfrontieren,
sondern sozusagen die politische Strategie, die Ziele, die hinter dieser politischen
Strategie stehen und vor allem die Verfahren, diese Moves,
von denen ich gesprochen habe, als solche zu entlarven. Das wäre, glaube ich.
Etwas, was politisch möglicherweise, natürlich auch nicht kurzfristig,
aber vielleicht mittelfristig erfolgreicher sein könnte.
Und das Zweite ist natürlich, ja,
man sollte vielleicht ganz bewusst solche Verfahren stärken,
die eben die traditionellen Verfahrensweisen der modernen Vernunft nennen.
Also etwa deliberative Verfahren in die Politik einbauen, wo sozusagen dann
alle diese Erfahrung einer vernünftigen Auseinandersetzung machen,
in denen diese stärker werden und vielleicht auch öffentlicher werden,
kann sozusagen dann wiederum die Kraft der Vernunftsuche an Bedeutung gewinnen.
Das wären zwei Dinge, die mir einfallen würden, als Entklarfung der Strategie
und solche deliberativen Verfahren in der Politik stärker zu machen.
Wenn auch nicht, wie Sie sagten, kurzfristig davon, sich Erfolg zu versprechen,
ist aber vielleicht mittelfristig.
Nils Kumkar, noch dazu eine Einlassung?
Hier im Chat gibt es noch eine weitere Frage ansonsten, ganz wie Sie möchten. Ich mache es ganz kurz.
Ich glaube, das sollte man machen.
Ich glaube, das, was Michael gerade gesagt hat, würde ich in erster Linie auch
als Verantwortung der gesellschaftlichen Reflexion auf das Problem sehen.
Das ist vor allem auch eine Frage an die Medien, wenn sie über Expertise berichten
zum Beispiel, dass man bei diesen Streitigkeiten diese Strategien transparent hat.
Das kann man ja auch noch vom Experten verlangen. Ich glaube,
was als Wissenschaftlerinnen uns wahrscheinlich auch gut zu Gesicht stehen würde,
wäre eine Konfliktkultur, die die Autonomie von Wissenschaft noch mal anders ernst nimmt.
Also ich habe in den letzten Jahren viele Streitigkeiten gelesen,
wo Leute sich gegenseitig vorgeworfen haben, politisch zu sein.
Aber die wissenschaftliche Güte, ihre Ergebnisse öffentlich gegeneinander zu
diskutieren, das kommt verhältnismäßig selten vor. Gleichzeitig wäre das aber, glaube ich, besser.
Also wenn wir davon ausgehen, dass Leute da draußen sich ohnehin ihren eigenen
Kopf machen, weil wir den Geist auch nicht mehr in die Flasche kriegen,
dann gehört das ja auch zur Alphabetisierung der Öffentlichkeit,
dass sie sozusagen den Austausch in der Wissenschaft, wo es unterschiedliche
Stellungnahmen gibt, auch nachvollziehen können und nachvollziehen können,
dass das nicht einfach so ist, weil die einen links sind und die anderen rechts
oder die einen Kosmopoliten und die anderen Kommunitaristen,
sondern dass es da durchaus auch noch um Fakten geht, jenseits davon.
Das wäre glaube ich auch der Wissenschaftskommunikation. Genau,
vor allem geht es um die gegenseitige Bezugnahme der Wissenschaftskommunikation.
Das haben wir bei den Expertinnenkonflikten der letzten Jahre,
glaube ich, zu Genüge beobachten können.
Wenn man sich dann immer nur auf seine Autorität zurückzieht,
dann kann man diesem Anwurf, wurde es da ja nur hingesetzt, um zu eigentlich
nichts entgegensetzen.
Das ist aber natürlich auch noch mit dazu gehört, wenn ich das nur noch ganz
kurz ergänzen darf. Nur ein Anschluss an das, was Anil gesagt hat.
Vielleicht würde es uns auch gut zu Gesicht stehen, selbst ganz bewusst immer
wieder die Trennlinie zu ziehen.
Wann spreche ich eigentlich als epistemische Autorität und wann als Teilnehmer,
als gleicher Teilnehmer in einem politischen Diskurs?
Ich glaube, gerade über das Medium der Talkshow und ähnliches mehr,
wo natürlich auch immer Wissenschaftler eingeladen werden, wird natürlich diese
Grenze permanent verwischt und verletzt, ohne dass sie als solches aufgezeichnet wird.
Aber das ist sicherlich auch etwas, was wir uns vornehmen könnten und sollten.
Ja, eine Transparenzfrage. Hier kommt aus dem Chat, ist nicht auch der Wissens-
und Wissenschaftsbedarf der Politik größer geworden?
Und die Wissenschaft dadurch unweigerlich in politische Kontroversen hineingezogen worden?
Was würden Sie darauf antworten?
Ja. Das sind die systemischen Probleme, die haben wir einfach.
Und ich glaube, die können wir klüger bearbeiten oder schlechter bearbeiten,
aber die machen auch nicht die aktuelle Krise aus.
Also es ist nun mal so, dass auch eine politische Frage an die Wissenschaft
in der Regel schon eine politische Frage ist.
Das heißt, wenn die Wissenschaftlerinnen dann sagen können, wenn sie A,
B machen, dann kommt C raus, dann ist die Frage danach, ob man das tut oder
was ganz anderes tut und ob C überhaupt das, was in Frage kommt und so,
das wird ja alles nicht in der Wissenschaft bearbeitet.
Gleichzeitig reflektiert die Wissenschaft aber drauf, um klar zu machen,
was sie tut und äußert sich darin auch potenziell politisch.
Und dass sozusagen auf beiden Seiten dadurch die ganze Zeit so Verwirbelungen
entstehen, wo Wissenschaft politisch argumentiert, wo Politik wissenschaftlich
argumentiert, das kann man, glaube ich, nicht vermeiden.
Außer eben mit dieser Note of Caution, die Michael zu Recht stark gemacht hat.
Man kann halt mal darauf hinweisen, dass man da gerade ein Problem hat.
Also man kann ja auch, gerade wenn man die Grenze nicht ziehen kann,
sagen, dass die Grenze hier gerade schwer zu ziehen ist.
Das mag unter Umständen auch schon helfen. Aber sonst würde ich sagen,
ja, und gleichzeitig hat auch die Legitimation von Politik durch Wissenschaft
zugenommen und diese Form von Wissenschaftsbedarf muss man vielleicht auch problematisieren.
Da möchte ich noch einen weiteren Punkt aus dem Chat hinzufügen.
Hier heißt es, kann der Verlust der Vernunft nicht auch als einfache Weiterführung
der Rhetorik der Reaktion, A.O.
Hirschmann, in Klammern gesehen werden.
Also Sinnverkehrungs-, Gefährdungs- und Vergeblichkeitsthese waren ja auch immer
vernunftsfern bis feindlich.
Ja, ist auch ein interessanter Gedanke, aber die Frage ist, wohin führt er uns
und wie ist er in der Praxis dann tatsächlich auch weiterzudenken?
Gibt es dazu noch etwas? Ja, man müsste jetzt, das ist ein hochinteressanter
Gedanke, dass das sozusagen in solchen Verlustdiskursen immer schon mit drin
war, aber man müsste die jetzt mal genauer anschauen.
Ich würde vermuten, dass solche
Verlustdiskurse, auch wenn sie falsche Verlusterfahrungen erhöht haben,
nichtsdestotrotz eher im Modus der Wahrheitsanerkennung und damit möglicherweise
der Falschaussage agiert hat und nicht unbedingt im Sinne des Modus der Wahrheitsleugnung
und der Wahrheitsumgehung, also des Bullshitting.
Aber das ist eine hochinteressante Frage.
Ich fühle mich richtig jetzt motiviert, um mal solche alten Diskurse nochmals
genauer auf diese Frage hineinzuschauen.
Ja, deswegen danke für diesen Gedanke. Nils Kunker, dazu noch etwas?
Also ich kann nur aus meiner Forschung zu den alternativen Fakten nochmal sagen,
systematisch weiß ich es nicht, aber man kann zum Beispiel am Thema dieser Klimawandelleugnung
ganz gut nachvollziehen, dass
auch diese Vergeblichkeitsrhetorik unterschiedliche Register ziehen kann.
Also lange, lange Zeit war sozusagen der klassische Move von Menschen,
die sich keine stärkere Klimapolitik gewünscht haben, die Berufung auf wissenschaftliche
Begründung dafür, warum das eh nichts bringt.
Also vor allen Dingen hat man dann immer Ökonomen. Da gab es sogar diesen,
ich werde den Namen vergessen, diesen Nobelpreisträger. Naja,
den Chemieb-Nobelpreisträger. Ja, ja.
Nein, nein, nein, es gab eine Ökonomie, die ist nicht auch gar kein richtiger
Nobelpreisträger. Ist auch egal.
Der hat aber für den Senat damals ein großes Paper geschrieben,
warum sozusagen marktwirtschaftlich sich das von ganz alleine verwächst.
Das weiß man heute war auch ein bisschen Quatsch, aber es war ein Bemühen des
Registers der Wissenschaft.
Sozusagen der Versuch, das als Wahrheitsfrage zu bearbeiten und da zu einem
anderen Schluss zu kommen.
Und das verkehrt sich eigentlich erst in dem Moment, hat man den Eindruck,
wo das wirklich nicht mehr geht.
Also wo man diesen Punkt wissenschaftlich nicht mehr machen kann.
Und insofern würde ich sagen, vielleicht macht es Sinn, das eher als eine Eskalation
dieser Rhetorik zu sehen.
Die gar nicht prinzipiell antivissenschaftlich oder provissenschaftlich ist,
sondern je nach Thema und Kontext sich dazu unterschiedlich ins Verhältnis setzt.
Und was wir gerade beobachten, ist eine Eskalation, die sozusagen Wissenschaft
als Ganzes problematisiert.
Oder, und das Oszillieren ist
auch nicht ganz neu, das kennen wir aus totalitären Regimen auch schon,
so ein Oszillieren zwischen einer wahren Wissenschaft, die irgendwo jenseits
des empirisch Greifbaren liegt, auf die man, zu der man eigentlich gerne hin
will und der realen Wissenschaft, die immer, wenn sie einem in die Quere kommt,
halt korrumpiert und hoffnungslos verdorben ist.
Aber das ist jetzt nicht die ganze Zeit die Rhetorik der Reaktion gewesen, glaube ich.
Und deswegen vielleicht zum Schluss meine Frage an Sie beide.
Eine Eskalation, die ja für einen großen Schaden sorgen kann und in der immer
wieder die Frage auch nach dem eigentlichen Gespräch gestellt wird,
ob das überhaupt noch möglich ist.
Wenn man sich auf unterschiedliche Wahrheiten beruft, ist meine Erfahrung,
dann wird es wirklich schwer, miteinander in Kommunikation zu treten.
Welche Erfahrung haben Sie da? Wo funktioniert es und wo nicht?
Wo ist da quasi die Grenze?
Ja, da fange ich an und winde mich auf diese sehr schwierigen Frage ganz einfach aus.
Es funktioniert dort, wo die Verfahren der öffentlichen Vernunftsbildung anerkannt
sind und dort, wo sie in Frage gestellt sind, funktioniert es nicht mehr.
Ja, und genau deswegen ist wahrscheinlich, das war ja der Punkt,
den wir auch schon vorher versuchten zu machen,
jetzt sieht das unmittelbare Gespräch, das unmittelbare Überzeugung,
dass man falsch liegt, kann nicht mehr funktionieren.
Man muss die Ebene wechseln, man muss, um in der kumkarischen Begrifflichkeit
zu bleiben, man muss auf die Beobachtung der Selbstbeobachtung gehen.
Man muss also diese reflexive Schleife nehmen und sagen, hey,
pass mal auf, jetzt argumentierst du aber so und so und damit kann und so weiter,
also die Verfahren als solches zu thematisieren und nicht die Inhalte.
Jetzt kommt gar nichts zu. Eine Möglichkeit, oder nach unten auswählen.
Was ja diese Torpedierung der Verfahren macht, ist vor allen Dingen,
dass sie unproblematische Dethematisierung verhindert.
Also eigentlich kann man ja sagen,
Wissenschaft ist das, worüber wir nicht reden müssen, Gott sei Dank.
Sonst wären wir die ganze Zeit damit beschäftigt, wissenschaftliche Fakten zu klären.
Wenn sich eine Seite dem verweigert, dann kann man das nicht zurückdrehen,
weil dann ist es nicht mehr unproblematisch und dann muss man irgendeinen Weg
finden, damit umzugehen.
Und ich glaube, eine Möglichkeit ist, auf die Verfahrensweise zu wechseln und
zu sagen, was passiert hier eigentlich gerade?
Die andere ist natürlich auch, und in Konversationen funktioniert das sogar
ganz gut, selbst im Publikum bei meinen Veranstaltungen ist mir das aufgefallen,
wenn man nachfragt, worum es jetzt eigentlich gerade geht.
Also worum streiten wir hier eigentlich gerade? Ich bin auch kein Klimawissenschaftler.
Dann kommt meistens was raus, worüber man dann reden kann.
Das ist allerdings keine Möglichkeit, gesamtgesellschaftliche Probleme zu lösen.
Ich wollte nur sagen, wenn man dieses Thematisierungsregister anguckt, die anderen.
Aber es ist vielleicht ein erster Schritt und damit auch etwas ganz Praktisches,
was Sie uns vielleicht nochmal an die Hand geben können, dass man eben nochmal
auf die unterschiedlichen Ebenen schaut.
Danke Ihnen sehr für diesen Austausch.
Nils Kunker, Michael Zörn, vielen Dank an alle Teilnehmenden.
So eine Stunde ist immer schnell um, aber ich glaube, es macht Sinn,
einfach mal sich diesen kurzen Slot zu gönnen, um über das eine oder andere
nachzudenken gemeinsam.
Danke, dass Sie sich die Zeit also allesamt genommen haben. Und wir freuen uns
natürlich, wenn Sie Lust und Zeit haben, auch bei dem nächsten Austausch dabei
zu sein, der dann in die USA und nach Osteuropa schaut.
Das wurde schon eingangs gesagt von der WZB-Präsidentin.
Aber ich darf auch nochmal darauf hinweisen, am 29. September kommen wir dann
hier zusammen mit Daniel Ziblatt Frau Eaton,
Professor of the Science of Government an der Harvard University und Direktor
der Abteilung Transformation der Demokratie am WZB und Christa Kovac vom Fellow
of the Research Professorship Global Constitutionalism at WZB Berlin Social Science Center,
die uns dann so ein bisschen über den Tellerrand nochmal mitnehmen,
der selbstverständlicherweise auch hier schon heute mehrfach Thema war.
Also, ich hoffe, Sie sind dann wieder dabei, 13 bis 14 Uhr, dann auf englischer Sprache.
Herzlichen Dank und auf Wiedersehen. Machen Sie es gut, bleiben Sie gesund und
behalten Sie die Nerven. Tschüss.
Herzlichen Dank. Schön. Ciao.